Path: gate.krell.zikzak.de!not-for-mail From: adrian.suter@schweiz.org (Adrian Suter) Sender: de-newusers-infos@spamfence.net Subject: <1999-09-04> Sieben Thesen zur Hoeflichkeit im Usenet Newsgroups: de.newusers.infos Followup-To: de.soc.usenet Supersedes: Message-ID: Expires: Sat, 04 Jan 2025 22:00:07 +0000 Approved: de-newusers-infos@spamfence.net MIME-Version: 1.0 Content-Type: text/plain; charset=iso-8859-1 Content-Transfer-Encoding: 8bit Organization: Moderation von de.newusers.infos Archive-name: de-newusers/hoeflichkeit Posting-frequency: weekly Last-modified: 1999-09-04 URL: http://www.kirchwitz.de/~amk/dni/hoeflichkeit Sieben Thesen zur Höflichkeit im Usenet ======================================= Dieser Text entstand in de.soc.netzkultur, einer Gruppe, wo sehr kontrovers über höfliches Verhalten im Usenet diskutiert wird. Er umfasst sieben Thesen und dazu einige Erläuterungen. Hier zunächst die Thesen pur: 1. Höflichkeit ist wünschenswert, aber optional. 2. Wie im realen Leben, so gibt es auch im Usenet unterschiedliche Wertmassstäbe, was höflich und was unhöflich ist. 3. Höflichkeit im Usenet ergibt sich aus allgemeinen Höflichkeitsregeln, wie sie auch im realen Leben gelten, und usenetspezifischen Höflichkeitsregeln, die sich aus dem Charakter, der Tradition und der Subkultur des Mediums ergeben. 4. Viele Netiquette-Verstösse entstehen aufgrund der Unkenntnis über die Spezifika des Usenet und über die verschiedenen Möglichkeiten, wie man am Usenet teilnehmen kann. 5. Die Netiquette repräsentiert eine vergleichsweise strenge Auffassung in Bezug auf die Kriterien höflichen Verhaltens. Dies entspricht ihrer Zielsetzung, Anleitung zum Vermeiden von Fettnäpfchen zu sein. 6. Das Fehlen nonverbaler Kommunikationsmittel im Usenet macht es nötig, auf Netiquetteverstösse entweder gar nicht oder aber explizit hinzuweisen. 7. Hinweise über Netiquetteverstösse verlieren an Glaubwürdigkeit, wenn sie selbst die Netiquette nicht respektieren. Sie sollten freundlich und im Normalfall per Mail gemacht werden. Zeigen sie keine Wirkung, ist meist Ignorieren die sinnvollste Konsequenz. Das waren die Thesen in konzentrierter Form. Hier noch einmal mit weiteren Erläuterungen, die hoffentlich etwas klarer machen, warum es von mir so gesehen wird und nicht anders: *1. Höflichkeit ist wünschenswert, aber optional.* Dieser vielzitierte Satz - das Original hat "Freundlichkeit" statt "Höflichkeit" und stammt von Andreas M. Kirchwitz - macht klar: Niemand kann Dich dazu zwingen, höflich zu sein. Du kannst auf sämtliche Höflichkeitsregeln und auf jeden einzelnen Punkt der Netiquette pfeifen, wenn Du willst. Allerdings musst Du mit den entsprechenden Konsequenzen leben. Die Hauptkonsequenz wird sein, dass Dir viele einfach nicht mehr antworten werden. Manche werden sogar aufhören, Deine Artikel auch nur zu lesen. Das Recht auf freie Meiungsäusserung beinhaltet nicht das Recht, von den anderen auch gelesen zu werden. Das heisst: wenn Du an sinnvoller Kommunikation interessiert bist, ist es besser, Dich freiwillig an gewisse Höflichkeitsregeln zu halten. Je nachdem, wie Dein Newsadministrator die Sache sieht, musst Du auch mit unangenehmeren Konsequenzen rechnen (z.B. Accountsperre). *2. Wie im realen Leben, so gibt es auch im Usenet unterschiedliche Wertmassstäbe, was höflich und was unhöflich ist.* Wenn jemand im Restaurant mit einem Mobiltelephon telephoniert, mag dies der eine als unhöflich empfinden, der andere als normal. Es gibt Verhaltensweisen, die nur wenige Leute als unhöflich empfinden (Mobiltelephon im Zug), andere Verhaltensweisen werden von sehr vielen Leuten abgelehnt (Mobiltelephon während einer Beerdigung). Im Usenet ist die Situation ähnlich. Nicht allen stösst dasselbe sauer auf, und was der eine kritisiert, findet der andere halb so wild. *3. Höflichkeit im Usenet ergibt sich aus allgemeinen Höflichkeitsregeln, wie sie auch im realen Leben gelten, und usenetspezifischen Höflichkeitsregeln, die sich aus dem Charakter, der Tradition und der Subkultur des Mediums ergeben.* "Sei höflich" ist eine Grundregel im Alltag, aber sie ist nicht ausreichend. Dies deswegen, weil der Kontext mitbestimmt, was denn höflich ist und was nicht. Am Opernball gelten andere Dinge als unhöflich als an der Raveparty. "Sei höflich" ist eine Grundregel auch im Usenet, aber sie ist nicht ausreichend. Dies deswegen, weil die Eigenheiten des Mediums mitimplizieren, was als höfliches bzw. unhöfliches Verhalten gelten kann. So ergibt sich zum Beispiel die Empfehlung, aussagekräftige Subjects zu setzen, aus den Eigenheiten des Medium, konkret aus der Möglichkeit, Artikel nach Subject in solche, die einen persönlich interessieren, und solche, die einen persönlich nicht interessieren, vorzusortieren. Die Tatsache, dass sich fast alle im Usenet duzen, und dass ein Siezen von vielen als unhöflich aufgefasst wird, ergibt sich aus der Tradition/Subkultur des Usenet. *4. Viele Netiquette-Verstösse entstehen aufgrund der Unkenntnis über die Spezifika des Usenet und über die verschiedenen Möglichkeiten, wie man am Usenet teilnehmen kann.* Die genannten und andere Umgangsformen lassen sich aus Real-Life-Höflichkeitsregeln nicht ohne Weiteres ableiten, sondern erfordern Kenntnisse über die technische und soziale Struktur des Usenet. Da diese Kenntnisse insbesondere bei Einsteigern nicht automatisch vorausgesetzt werden dürfen, ist Aufklärung sinnvoll. Insbesondere ist die Art und Weise, wie jemand am Usenet teilnimmt, von grosser Bedeutung dafür, was er als lästig, störend und damit unhöflich betrachtet und was nicht. Je nach Software, Netzanbindung, Gruppenliste entstehen für den einen Probleme, die sich der andere zunächst gar nicht vorstellen kann. Eine elementare Höflichkeitsregel im Usenet sollte deswegen sein: Rücksichtnahme auf den, der auf andere Art am Usenet teilnimmt. Dazu gehört umgekehrt: Geduld mit dem, der das Usenet halt nur so kennt, wie er es selber nutzt. *5. Die Netiquette repräsentiert eine vergleichsweise strenge Auffassung in Bezug auf die Kriterien höflichen Verhaltens. Dies entspricht ihrer Zielsetzung, Anleitung zum Vermeiden von Fettnäpfchen zu sein.* Manche Empfehlungen in der Netiquette werden von vielen Usern nicht so eng gesehen. Sie sind bereit, auch einmal darüber hinwegzusehen, wenn jemand gegen eine solche Empfehlung verstösst (wenn es mit Mass geschieht), oder sie halten die Empfehlung für gar nicht so besonders wichtig. Zum Beispiel regen sich nur wenige wirklich konsequent über fünfzeilige Signaturen auf. Auch über fehlende Realnamen werden viele User hinwegsehen, wenn sich der Artikel sonst durch Kompetenz und Sachlichkeit auszeichnet. Andere finden solche eher geringfügigen Netiquette-Verstösse trotzdem daneben. Hier zeigt sich deutlich die in These 1 angesprochene Verschiedenheit der Wertmassstäbe in Bezug auf Höflichkeit. Der Massstab der Netiquette ist verhältnismässig streng. Das liegt daran, dass sie das Usenet-Äquivalent für ein Benimmbuch ist: auch ein Benimmbuch beschreibt ja im Allgemeinen die strengen Massstäbe, um dadurch sicherzustellen, dass sich die Leserin und der Leser auch in jenen Kreisen benehmen kann, wo solche strengen Masstäbe vorausgesetzt werden. Genauso setzt die Netiquette strenge Massstäbe bei ihren Empfehlungen. Damit ist sichergestellt, dass jemand, der sich an die Empfehlungen der Netiquette hält, auch bei denjenigen, die selbst strenge Ansichten über die Höflichkeit im Usenet haben, nicht ins Fettnäpfchen tritt. *6. Das Fehlen nonverbaler Kommunikationsmittel im Usenet macht es nötig, auf Netiquetteverstösse entweder gar nicht oder aber explizit hinzuweisen.* Im realen Leben kann man auf ein Verhalten, das man als unhöflich und fehl am Platz empfindet, auf verschiedene Art reagieren. Insbesondere hat man zahlreiche Möglichkeiten, dem anderen nonverbal und implizit (aber trotzdem deutlich) mitzuteilen, dass einem sein Verhalten missfällt. Die Nase rümpfen, sich demonstrativ abwenden, auf die Uhr schauen etc. sind solche nonverbalen Mitteilungen. Diese Möglichkeiten fehlen im Usenet. Man kann nicht virtuell die Nase rümpfen. Man kann zwar jemanden ignorieren, aber dieser wird das nur in den seltensten Fällen bemerken, dass er von einer bestimmten Person ignoriert wird (öffentliche Plonks und plötzlicher Abbruch einer laufenden Diskussion einmal ausgenommen). Wenn man also irgendwie auf einen Netiquetteverstoss reagieren und sein Missfallen mitteilen will, so kann man dies im Usenet nur explizit tun. *7. Hinweise über Netiquetteverstösse verlieren an Glaubwürdigkeit, wenn sie selbst die Netiquette nicht respektieren. Sie sollten freundlich und im Normalfall per Mail gemacht werden. Zeigen sie keine Wirkung, ist meist Ignorieren die sinnvollste Konsequenz.* Wer andere zur Höflichkeit, Sachlichkeit, Freundlichkeit etc. ermahnt, sollte dies selbst höflich, sachlich, freundlich etc. tun. Da solche Hinweise nur in den seltensten Fällen von öffentlichem Interesse sind (Ausnahme: de.newusers.questions), ist ein Hinweis per Mail angebracht, wie es die Netiquette für solche Fälle vorsieht. Eine weitere sinnvolle Möglichkeit ist es, freundliche Netiquette-Hinweise beiläufig in einen kompetenten Artikel zur Sachfrage einzustreuen. Sollte der Netiquette-Hinweis nicht die gewünschte Wirkung zeigen, so ist im Allgemeinen der Abbruch der Diskussion die sinnvollste Möglichkeit. Wird die Diskussion trotzdem weitergeführt, so droht gegenseitiges Hochschaukeln: Im Laufe einer Netiquette-Diskussion haben Netzneulinge (Newbies) die Tendenz, zu Trotzköpfen zu werden, und alte Hasen die Tendenz, zu Netzsheriffs zu werden. Adrian Suter