Über die Profilierung als Netzgott


Empfänger: /CONVOY/AMIGA
Absender:  O.WAGNER@AWORLD-2.ZER
Betreff:   Ueber die Profilierung als Netzgott
Route:     TRON!DUNE!NATHAN
Datum:     18.06.92
Länge:     10972 Bytes




		 Wie Mann sich netzrichtig profiliert
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		 Ein kleiner, gutgemeinter Leitfaden fuer
		 den angehenden Amiga-Netzfachmann oder
		  solche welche, die es werden wollen,
		bisher aber nicht zu fragen wagten, wie
		          zum Teufel das geht





			   von Oliver Wagner








Vorwort

Viele  Menschen,  die  zum  ersten  Male  die Welt der Netze erforschen und
glauben,  sie  waeren  im  ultimo der Freiheit gelandet -- immerhin darf ja
dort   jeder  etwas  sagen!   --  irren.   Sie  verkennen  die  gewachsenen
Strukturen  der  Autoritaet  und die Macht des Wissenden und blamieren sich
durch freche Besserwisserei in den Augen der Goetter und ihrer Adepten.

Das  muss  nicht  sein.   Und  so  ist  hier,  im  leuchtenden  Geiste  der
Erkenntnis,  die Anleitung, wie Mann vom blossen Mitleser langsam ueber den
Rang  des  Points  und Cosysops bis hin zum UUCP-Postmaster ins Babylon der
Netzgoettlichkeit aufsteigen kann.

Alles  dies  erscheint  als graue Theorie, obwohl es doch wieder und wieder
vorgelebt  und  geschrieben  wird.  Mit praktischen Beispielen soll gezeigt
werden, was die Netzwelt im innersten zusammenhaelt.

Dieser   Text   richtet   sich  an  den  fortgeschrittenen  Amiga-Anwender;
nichtsdestotrotz  sind  die  Prinzipien  beliebig  auf  andere  Netzbiotope
anwendbar.  Jedem Brett sein Lichtblick.


I. Vorbereitung, erster Schritt

Werden  Sie  Amiga-Developer!   Ohne diesen Rang geht gar nichts, denn ohne
Developer-Schein  erfahren  Sie  erst  gar  nichts, was Sie nicht lautstark
oeffentlich  verschweigen  koennen.   Selbst  wenn  Sie gar nicht vorhaben,
irgendetwas  zu entwicklen -- Netzgoetter leben nicht von Software, sondern
vom  Wissen.  Commodore ist es egal, die freuen sich ueber jede Mark in der
Portokasse  zum gelegentlichen verschicken von Betatest-Versionen, wenn der
uebliche Vertrieb -- ueber die Pirate-Boards -- aus irgendeinem Grund nicht
richtig geklappt hat.

Fuer  Amiga-Developer gilt natuerlich:  Je niedriger die Nummer, desto gut.
Das  bedeutet naemlich lange Zugehoerigkeit zum erlauchten Kreis, und desto
aelter, desto gut.  Das ist so.

Registered  geht  gar  nicht,  das  hat  sogar Commodore eingesehen und den
Status  abgeschafft.   Certified  ist  gut,  Commercial  noch  besser, weil
irgendjemand  das  Geruecht  in  die Welt gesetzt hat, solche Leute wuerden
besonders ueberprueft, bevor der Orden sammt UUCP-Zugriff verliehen wird.


II. Vorbereitung, zweiter Schritt

Nun  gut, Sie sind jetzt Developer und einiges in Ihrem Leben wird sich nun
drastisch  aendern.  Als erstes:  Gebetsbuch, -Muehle, -Kranz oder -Teppich
gehoeren  in  den  Schrank (zu den na_sie_wissen_schon), ihre neue Religion
heisst nun Amiga.  Die wichtigsten Gebote:

	- der Amiga ist der beste Computer fuer alle Anwendungen
	- schuld sind immer die Software-Hersteller
	- die Interessen von Commodore sind auch meine Interessen
	  (vorallem marketingtechnisch)
	- alle anderen sind boese Raubkopierer und der PLK-Stempel
	  und die verblichenen Programmlisten in MPS-801-Schrift
	  nur Jugendsuenden

Bitte auswendiglernen, immer wieder aufsagen und -- vorallem -- glauben.


III. Das richtige Netz

Derartig  ausgebildet  sind sie reif fuer den kalten Sprung in die Welt der
Netze.   Wie  auch  im  richtigen  Leben  erwartet Sie ein buntes Universum
voller  Neid,  Konkurrenz  und  Intrige  -- und lauter kleiner Adepten, die
eigentlich nur eins wollen:  Sie bewundern.  Und das nur, weil sie sich gut
vorbereit  haben.   Wenn  Sie sich trotz allem nicht gut vorbereitet haben:
fuenfundzwanzig Schlaege mit der Neunschwaenzigen und ab nach Feld I.

Gut,  Sie  wissen  und wissen vorallem, das Sie wissen.  Nun braucht Wissen
einen entsprechenden Betaetigunsrahmen.  Auf unsere Problematik angewendet,
heisst  das in etwa:  Jedem Horizont sein Netz.  Oder unter Blinden ist der
Einaeugige  Koenig.   Achten  Sie  also  darauf,  dass  Sie  95%  aller oft
gestellten  Fragen  auswendig  und  die  restlichen 5% nach wenigen Minuten
Nachschlagen  beantworten  koennen.   Auch  orthographische und semantische
Kenntnisse sollten dem Umfeld angepasst, d.h.  weit ueberlegen sein.

Ein  brauchbarer  Einstieg  ist  das  Z-Netz,  da  es aufgrund des leichten
Zugangs  gerne  von  Neueinstern  sowohl in die Netze allgemein als auch im
besonderen  in  die  Theologie  "Amiga"  heimgesucht  wird.   Lesen Sie ein
bischen  rum;  koennen Sie die 95/5-Regel nicht einhalten, versuchen Sie es
besser  mit  erstmal mit dem AmNet oder Fido (da winkt sogar, als habhafter
Zwischenposten, eine Moderatorenstelle!).

Wichtig   ist   es,   gleichzeitig   auch  fleissig  im  UseNet  mitzulesen
(comp.sys.amiga.*,    de.comp.sys.amiga.*,    alt.sys.amiga.*),    um   die
Informationen zu bekommen, die Sie dann in Ihrem Netz breit rauslassen oder
auch  verschweigen koennen (dazu spaeter mehr).  Aber begehen Sie *NIE* den
Fehler,  unqualifiziert  dort  mitschreiben  zu  wollen -- das wird von den
wahren  Goettern als versuchter Einbruch in den Olymp verzeichnet und meist
mit  mehreren Kilobyte langen fundierten Wiederlegungsnachrichten geahndet.
Das schadet dem Ansehen!


IV.  Das Verschweigen von Information

Nun gut, Sie wissen.  Wenn Sie aber allen erzaehlen, was Sie wissen, wissen
die  es  auch  und  das  Wissen  ist  in  keinerlei Hinsicht mehr exklusiv.
Wichtig ist also vielmehr das kunstvolle Verschweigen von Information.

Deuten  Sie mit kassandrahaften Worten an, was ist und was sein koennte und
warum  nicht  und  wieso immer.  Schreiben Sie hundertmal das gleiche, ohne
etwas  auszusagen,  setzen  Sie  Geruechte  in die Welt und dementieren Sie
diese  mit  Blick aufs Commodore-Marketing (Wer kauft den 3000er noch, wenn
ein 4000er kommt [oder auch nicht]).

Als  angehender  Gott  haben  Sie auch gleich eine Urkunde ihrer angehenden
Vollkommenheit  bekommen:   Das  Non-Disclosure-Agreement, auf das Sie sich
immer zurueckziehen, wenn Sie doch einmal etwas zuviel gesagt haben oder so
ein naseweises Arschloch aus dem UUCP crossgepostet hat.

Hier  moechte  ich einen Satz eines wahren Koenners zitieren, der Begriffen
hat, worum es geht:

		   "Mehr darf ich nicht sagen!"

Welche   Autoritaet   und  geheimnisvolle  Ausstrahlung  steckt  in  diesen
meisterhaften Worten!  Nehmen Sie sie sich zu Herzen.


V. Die Behandlung von Mitnetzlern

Wichtig  fuer Ihr Ansehen ist auch die Art des Umgangs mit den Untergebenen
und  Gleichgestellten  im  Netz;  zwischen beiden ist naemlich umsichtig zu
differenzieren.

Erstere  sind  grundsaetzlich kuehl zu behandeln, da Sie da facto dumm sind
und  so  grundsaetzlich  dumme  Fragen  stellen, und das wahrscheinlich mit
Absicht.  Fragt also jemand, warum die Uhr im A500 nach dem letzten Absturz
nicht  mehr laeuft, gehen Sie davon aus, das er dass natuerlich wissen muss
(sonst  duerfte  er  nicht  schreiben)  und  machen sich effektiv ueber ihn
lustig.   Das  geht  besonders  gut,  wenn  genau  dieses  Thema  vor nicht
allzulanger Zeit bereits diskutierte wurde oder in einem ominoesen FAQ-File
erwaehnt wird.

So  ist  mit  den 95% Prozent zu verfahren; aber bitte nicht auf jede dumme
Frage  laestern,  das  wirkt zu menschlich -- ein Gott schreibt nur wenige,
dafuer aber bessere Nachrichten.

Die restlichen 5% muessen natuerlich von Ihnen ausfuehrlich und mit Bravour
zerlegt  beantwortet  werden.  Lassen Sie ihr Wissen ruhig raushaengen (der
andere  koennte es ja auch wissen), und wuerzen Sie reichlich mit Verweisen
auf  andere  Quellen (womit Sie nicht Ihr ganzes Wissen preisgeben muessen,
siehe Kapitel IV).

Wenn  Sie  wieder  erwarten  keine Antwort wissen, schweigen Sie um Himmels
willen  still  (und  lesen  das  naechste Mal im UseNet sorgfaeltiger mit).
Fragt  ein  Adept  dummdreist  nach, haben Sie die Nachricht nicht bekommen
(Server  hatte  Platencrash/Urlaub/keine Zeit gehabt).  Im schlimmsten Fall
muessen  Sie sich halt schlaumachen, aber nie im Netz selbst, auch nicht in
anderen oder gar im UseNet; ein Gott weiss und fragt nicht dumm.


VI.  Goldene Regeln

-  Antworten  Sie  *IMMER*  oeffentlich und nie per PM.  Wenn Sie schon das
Manna  Ihres  Wissens den Hunden zum frass vorwerfen, sollen es gefaelligst
auch alle mitkriegen

-   Wenn   Sie  genuegend  Zeit  und  Nerven  mitbringen,  werden  Sie  zum
standardisierten  Alle-Fragen-Beantworter  in  speziellen Brettern (gut ist
/PROGRAMMIEREN; die haben alle so laecherliche Probleme).  Das foerdert den
Ruf.   Die  oeffentlichkeitsregel  ist aber auch dabei grundsaetzlich immer
einzuhalten!

-  Wenn  Sie  an  Ihrem Status haengen, lassen Sie sich auf keinen Fall auf
Diskussionen   ein,  bei  denen  Sie  nicht  mithalten  koennen;  das  gilt
insbesondere  fuer  Nicht-Rechner-Bretter.   Es  gibt  Menschen,  die neben
/Z-NETZ/RECHNER/AMIGA/* auch andere Bretter bestellt haben, und die koennen
boese Worte unter die Adepten tragen!  Besonders gefaehrlich:  /DISKUSSION,
/POLITIK, alles mit /CL davor und natuerlich /SEX

-  Einige Adepten sind schon damit auf die Nase gefallen, dass sie versucht
haben,  im  Z-Netz  Moderatorenpoestchen zu initieren, die dann na_wer_woll
wiederstrebend  uebernehmen  kann.   Dafuer  gibt  es  im  Z-Netz  zu viele
egalisierende Spinner; diese im Ansatz gute Idee ist also zu begraben

-  Eine  gute  Methode  ist die Referenz auf allgemein anerkannte Groessen.
Beispiele:  "Wie Dave Haynie mir schrieb..." oder "Fred Fish sagte mir..."

-  Ab  und  an  stellt  sich  bestimmt  ein Dummkopf, der diesen Text nicht
gelesen hat, als oeffentlicher Besserwisser-Kaspar zur Verfuegung.  Das ist
wie  ein  Schatz,  denn an diesem Subjekt koennen Sie den Ernstfall erleben
und  ihre  ganze  Wucht  an Wissen und trefflicher Polemik austesten.  Ihre
Sympathiewerte  werden  noch  weiter  steigen,  wenn  sich  das Subjekt auf
oeffentliche   Mailgefechte  mit  Ihnen  einlaesst  und  Sie  den  Dummbatz
genuesslich   auseinandernehmen   koennen.   Achten  Sie  hierbei  auf  die
Feinheiten (siehe dazu das Dokument "Wie schreibe ich eine Flame")


VII.  Der Olymp

Irgendwann  wird  der  Tag  kommen,  wenn  die  ersten  privaten  und  dann
oeffentlichen Bewunderungsmails eintrudeln; ihre Adepten haben Sie gefunden
und werden Ihnen in der Zukunft bei Gefechten jederzeit als Sekundanten und
Claquere  zur  Verfuegung  stehen.   Stuetzen  Sie  Ihren  Status  mit  den
bewaehrten  Methoden  ("Zuckerbrot  und  Peitsche".   Auch die gluehendsten
Bewunderer erfahren ueber Kickstart 3.0 nichts!)

Fuehlen  Sie  sich  sicher genug, koennen Sie irgendwann auch das Spielfeld
der  wahren  Goetter  (de.comp.sys.amiga.*)  aufsuchen,  natuerlich mit der
Gebotenen Vorsicht.  Wenn die erste freundliche PM vom amtierenden Netzgott
eintrifft, wissen Sie:  Es ist vollbracht.

Amen.



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